100 Jahre Gewerkschaftsbund Baselland OBZ

Gewerkschaften braucht es weiterhin

MARC SCHAFFNER

Wer könnte sich die Schweiz ohne Arbeitsrecht, AHV, Arbeitslosen- und Mutterschaftsversicherung vorstellen? Was heute selbstverständlich ist, musste sich die Arbeiterinnen- und Arbeiterbewegung über Jahre hinweg hart erkämpfen. Im Baselbiet war es 1919 – einige Monate vor dem Landesstreik und kurz vor dem Basler Generalstreik, – als sich die Bewegung kantonal organisierte und sich die Branchenverbände zum Gewerkschaftskartell Baselland zusammenschlossen. Viele der damaligen Forderungen seien heute erfüllt, sagte Andreas Giger-Schmid, Präsident des Gewerkschaftsbunds Baselland (GBBL), an der 100-Jahr-Jubiläumsfeier in Liestal. Umso mehr müssten sich die Gewerkschaften heute mit aktuellen Problemen befassen, wie die Erhaltung der Altersvorsorge, Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Kündigungsschutz für ältere Arbeitnehmende, Schutz von branchenüblichen Löhnen oder Gleichstellung. «Wir haben auch für die nächsten 100 Jahre genügend Aufgaben», ist Andreas Giger-Schmid überzeugt.

Eine ansehnliche Schar, darunter Regierungsrätin Kathrin Schweizer, Landratspräsident Peter Riebli, ehemalige Funktionärinnen und Funktionäre, Vertreterinnen und Vertreter aus Politik und Gewerkschaftsbewegung, sind heute vor einer Woche im Landratssaal in Liestal zusammengekommen, um mit dem GBBL zu feiern. Die Stimmung war emotional: Es gab Umarmungen und Freudentränchen, und die musikalische Umrahmung der «Brass El Bandi» aus Buckten passte hervorragend zum Anlass. Die historische Rückschau der Rednerinnen und Redner war detailreich, aber nicht selbstbeweihräuchernd. Im Gegenteil, die Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter schienen eher bemüht, aus der Defensive zu treten – in einer Zeit, in der ihr die Klimastreikjugend und «Extinction Rebellion» das angestammte Feld streitig machen, ja gar als «moderne Form» der Gewerkschaften gelten. «Wir selbst sind die modernen Gewerkschaften», meinte dazu Samira Marti, Nationalrätin und Präsidentin des VPOD Region Basel. «Nehmen wir sie an, diese Herausforderung, mit der ganzen Erfahrung aus 100 Jahren kollektivem Einsatz für die Menschen.» Klimaschutz müsse sozial sein, Verzichtsaufrufe und der Appell an die individuelle Verantwortung genügten nicht.

Was Samira Marti aber auch betonte: Der politische Arbeitskampf sei auch immer einer um die Länge des Arbeitstages gewesen. Hier seien die Gewerkschaften wieder vom Weg abgewichen. Arbeitszeitreduktion, insbesondere für Frauen, müsse zwingend wieder vorangetrieben werden.

Nah an Arbeitnehmenden
Aus einer anderen Warte, obschon mit Überschneidungen, sprach Edi Belser, alt Regierungsrat, alt Ständerat und ehemaliger GBBL-Präsident. Mehrere Wünsche richtete er an die heutigen Akteurinnen und Akteure: «Bleibt nah bei den wirklichen Fragen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern.» Ein 55-Jähriger, der ausgesteuert werde, denke anders über gewisse Maximalforderungen, wie sie heute gestellt würden. Verteilgerechtigkeit müsse im Zentrum stehen, aber auch Anerkennung und Zugang zu Kultur seien wichtig für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. «Vergesst nicht, wir haben den Weg geebnet», rief Edi Belser in Erinnerung. Und noch etwas: Der GBBL sei da, um Einfluss zu nehmen. Nicht nur über Facebook und Twitter, das sei gut und recht, aber vor allem mit direktdemokratischen Mitteln, und das wiederum gehe nur mit einem Netz aus persönlicher Kameradschaft und Kollegialität.

Karin Eberli, GBBL-Vorstandsmitglied, wies auf die tragende Rolle der Frauen in den Gewerkschaften hin, etwa in den Kartoffelkrawallen und Hungerdemonstrationen vor dem Landesstreik. Frauen hätten Streikposten besetzt und sich an die Spitze von Umzügen gestellt. Trotzdem erschienen sie in den Geschichtsbüchern nur als Randnotiz und auch die Gewerkschaften selber seien männerdominiert. Bis heute: So arbeite seit Jahren eine Frau als Geschäftsführerin im Hintergrund, aber eine GBBL-Präsidentin habe es noch nie gegeben.

Toya Krummenacher, Präsidentin des Basler Gewerkschaftsbunds, überbrachte die Grüsse aus dem Stadtkanton. Sie wies auf die Erfolge des Gewerkschaftskartells Baselland (das 1982 in Gewerkschaftsbund umbenannt wurde) hin. So auf den Kampf gegen die Lex Häberlin und Lex Schulthess, die Gewerkschaftsrechte und den Achtstundentag angreifen wollten. Das Baselbiet stimmte damals zu 70 Prozent dagegen, weit über dem schweizerischen Durchschnitt.

Von der vehementen Reaktion des Staats auf Streikende erzählte Pierre Yves Maillard, Präsident des Schweizerischen Gewerkschaftsbunds: «Demokratie war eigentlich nicht für die Arbeiter gedacht, und schon gar nicht für die Arbeiterinnen.» Schwarze Listen, Druck am Arbeitsplatz, die Gefahr, die Existenz der eigenen Familie nicht mehr sichern zu können, das seien die Konsequenzen des Engagements gewesen. Heute sei vieles besser, aber auch im Hier und Jetzt brauche die Schweiz – und die Welt – eine starke Gewerkschaftsbewegung.

Zum Schluss wurde der sehenswerte GBBL-Jubiläumsfilm von Philippe Jost gezeigt, der auch die jüngeren Arbeitskämpfe – Firestone, Adtranz, Allpack – beleuchtet. Vor dem Apéro gabs dann noch eine sympathische Überraschung: Elsbeth-Joseph Matter, GBBL-Geschäftsführerin und Moderatorin des Abends, wurde in einem persönlichen Filmporträt vorgestellt – nach 23 Jahren GBBL-Tätigkeit und Einsätzen an vorderster Front eine wohlverdiente Ehrung.

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