Geschichte GBBL

Geschichte des Gewerkschaftsbundes Baselland (von Dr. Ruedi Epple)

Der Gewerkschaftsbund Baselland ist die grösste Arbeitnehmerorganisation im Kanton Baselland. In ihm sind 15 Einzelgewerkschaften zusammengeschlossen.

Das Gewerkschaftskartell Baselland

Das Gewerkschaftskartell Baselland (GKBL) war ein Kind der unruhigen Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkrieges: Die Kriegsjahre hatten die sozialen Spannungen verschärft und die Klassengegensätze deutlicher hervortreten lassen. Dies führte unmittelbar nach dem Krieg zum „Landesstreik“, den das „Oltener Aktionskomitee“ der Sozial-demokratischen Partei (SP) und des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB) im November 1918 ausrief. Die Gründung des GKBL erfolgte wenige Monate später: Am Karfreitag, 18. April 1919, trafen sich im Restaurant „Schlüssel“ in Liestal 35 Delegierte zur Gründungsversammlung. Sie vertraten damals rund 1100 gewerkschaftlichorganisierte Arbeiterinnen und Arbeiter aus acht verschiedenen Gewerkschaftsverbänden. Öffentlich in Erscheinung getreten war das Baselbieter Kartell aber schon vor seiner Gründung: Zusammen mit der SP Baselland hatte es den zentralen Landesstreik-Aufruf „an die Bevölkerung von Baselland“ unterschrieben. Das Gewerkschaftskartell war nicht die einzige Organisation, die damals entstand: Auch der Industriellenverband Baselland geht auf das Jahr 1919 zurück.

Das GKBL war schon damals der Zusammenschluss der einzelnen Gewerkschaftsverbände auf kantonaler Ebene. Dieser war nötig geworden, weil die föderalistische Struktur der Schweiz wichtige Kompetenzbereiche den Kantonen beliess. Eine wirksame Vertretung der Interessen der Arbeiterschaft verlangte deshalb eine Koordination und Zusammenarbeit der Gewerkschaften auch auf dieser Ebene. Als kantonale „Tagesfragen“, welche „für die Gewerkschaften von Bedeutung sind“ und zu deren Lösung das Kartell beitragen sollte, zählte einer der Gründer „die Frage des kantonalen Einigungsamtes, die Anerkennung der Gewerkschaften durch die “Prinzipale“, die „Lohnregelung“ und die „Verkürzung der Arbeitszeit“ auf.

Arbeitsteilung zwischen Kartell und Verbänden

Die Auseinandersetzungen zwischen Unternehmern und Arbeiterschaft auf Betriebsebene blieb auch nach der Kartellgründung in erster Linie Sache der zuständigen Gewerkschaftsverbände. So fanden zum Beispiel 1922 unter ihrer Führung Streiks in der Schuhfabrik Allschwil, bei der Buss AG in Pratteln, in der gesamten Bau- und Möbelbranche, bei Rohner & Co. in Pratteln, bei Messerschmidt in Pratteln sowie bei der Buchdruckerei Lüdin in Liestal statt. Das Kartell war von diesen Arbeitskämpfen nur indirekt betroffen, in dem es die Aktionen der Verbände unterstützte. Hauptaufgabe des Kartells war demgegenüber der politische Kampf. So trat es 1922 vehement gegen die „Lex Häberlin“, welche durch eine Änderung des Bundesstrafgesetzes die Aktionsmöglichkeiten der Arbeiterorganisationen einschränken wollte, und 1924 ebenso überzeugt gegen die „Lex Schulthess“ auf, welche den gesetzlichen Achtstundentag widerrufen wollte. Der Einsatz des Kartells trug mit dazu bei, dass sich auch die Baselbieter Stimmbürger deutlich gegen die arbeiterfeindlichen Vorlagen aussprachen.
Die Zwischenkriegszeit war eine wirtschaftlich instabile Zeit. Jahre der Hochkonjunktur wechselten mit Rezessionsphasen. Entsprechend sprunghaft entwickelten sich die Baselbieter Arbeitslosenzahlen. Im Juni 1921 zählte man im Kanton Basel-Landschaft zum Beispiel über 2000 Arbeitslose. Zwei Jahre später waren es nur noch rund 100 und nochmals zwei Jahre später bereits wieder über 1500 Arbeitslose. In dieser Zeit gab es noch keine Arbeitslosenversicherung. Die Unterstützung Arbeitsloser war Sache der Gemeinden und ihrer Fürsorgeeinrichtungen. Das Kartell und seine Mitgliedsverbände setzten sich aber mit der SP für die Einführung einer kantonalen Arbeitslosenversicherung ein. Mit Erfolg: 1930 hiessen die Baselbieter Stimmbürger das Arbeitslosengesetz gut.

Schwieriges Pflaster

Ein wichtiger Erwerbszweig der Baselbieter Volkswirtschaft war auch in der Zwischenkriegszeit noch immer die Posamenterei. Als das Kartell gegründet wurde, standen noch fast 4000 Bandwebstühle im Kanton. Ausgelastet waren aber längst nicht mehr alle Stühle. Im besten Fall standen in der Zwischenkriegszeit die Hälfte, oft aber nur noch ein Drittel in Betrieb. Die Gesamtzahl der Stühle sank in diesen Jahren stetig. 1936 standen noch rund 800 Stühle und weniger als die Hälfte hatten Arbeit. Hätten die Posamenterfamilien nicht noch ein Stückchen Land zu bewirtschaften gehabt oder wären nicht bereits einzelne Familienmitglieder in die Industrie gependelt, die Not wäre noch grösser gewesen als sie unter den gegebenen Umständen bereits war.
Die Krise der Seidenbandindustrie hatte schon Ende des 19. Jahrhunderts eingesetzt. Absatzschwierigkeiten, Zollschranken sowie die Konkurrenz der fabrikindustriell hergestellten Bänder hatten die Posamenterei, welche vorwiegend auf Heimarbeit beruhte, in eine strukturelle Krise gedrängt. Vorübergehend hatte die Elektrifizierung der Posamenterstühle auf genossenschaftlicher Basis - damals wurden in allen Posamenterdörfern innert weniger Jahre Elektragenossenschaften gegründet - zu einer Entlastung geführt. Den Untergang dieses Industriezweigs aber konnte auch diese Massnahme nicht mehr aufhalten. Die Gründungsversammlung des Kartells aber hatte sich vorgenommen, sich speziell „um die bisher nicht Organisierten, insbesondere die Posamenter“ zu bemühen. Sie sollten für die Arbeiterbewegung gewonnen werden. Diesen Anstrengungen war aber wenig Erfolg beschieden. 1922 beklagte sich der Tätigkeitsbericht des GKBL: „Mit den Posamentern haben wir äusserst unangenehme Erfahrungen gemacht. Unser Institut hat nichts versäumt, auch diese Arbeiterkategorien auf den Ernst der Zeit aufmerksam zu machen und ihnen den Weg zu zeigen, wo sie hingehören. Aber neben dem nackten Egoismus sind es hier hauptsächlich die Führer, die treu darüber wachen, dass diese Lohnsklaven von der modernen Arbeiterbewegung unbefleckt bleiben.“

Dass sich nur wenige Posamenterinnen oder Posamenter gewerkschaftlich organisieren liessen, dürfte allerdings weniger ihren „Führern“ oder ihrem „nackten Egoismus“ zuzuschreiben gewesen sein. Die meisten Posamenterinnen und Posamenter waren keine Industriearbeiter im eigentlichen Sinn. Ihre Familien standen noch immer im agrarischen Lebenszusammenhang. Die gewerkschaftliche Organisation und ihre sozialstaatlichen Forderungen standen ihnen relativ fern. Näher lag die genossenschaftliche Selbsthilfe, wie sie bei der Elektrifizierung der Stühle oder beim selbstverwalteten Versuch, ihre Produkte ohne Verleger in eigener Regie abzusetzen, zum Ausdruck kam. Mit der zunehmend kritischeren Situation ihres Erwerbszweigs kamen aber auch die Posamenterinnen und Posamenter nicht mehr darum herum, die Hilfe des Staates anzufordern und in Anspruch zu nehmen. So organisierte der Kanton Basellandschaft für arbeitslose Posamenterinnen und Posamenter Arbeitsbeschaffungsprogramme, Gemüseanbau- und Hauswirtschaftskurse sowie eine Hilfskasse.
Weltwirtschaftskrise
Kaum war die obligatorische kantonale Arbeitslosenversicherung am 1. Januar 1931 in Kraft getreten, zogen am Baselbieter Wirtschaftshimmel weitere schwarze Wolken auf: Die Weltwirtschaftskrise der 30er Jahre schlug sich auch auf den Baselbieter Arbeitsmarkt nieder. Die Arbeitslosenzahlen schnellten in die Höhe und blieben Sommers und Winters über mehrere Jahre hinweg vergleichsweise hoch. Mit der Absicherung der Arbeitslosen durch die neue Versicherung war nur die gröbste Not gelindert. Die ausserordentlichen Verhältnisse erforderten auch ausserordentliche Massnahmen. Am 13. September 1936 verabschiedete das Kartell deshalb einen dringenden Appell an den Regierungsrat: “Angesichts der sich stets verschärfenden Wirtschaftskrise verlangt die Delegiertenversammlung vom Regierungsrat die Ausarbeitung und Verwirklichung eines Sofortprogramms, das eine wirksame Bekämpfung der Not der Arbeitslosen verspricht. Vermehrte Arbeitsbeschaffung ist sofort dringend notwendig. Zur Mittelbeschaffung sind die hohen Einkommen und Vermögen besser zu erfassen. (...) Die Delegiertenversammlung verlangt vom Regierungsrat vermehrte Leistungen an die Arbeitslosenkassen, da deren Leistungen derart angewachsen sind, dass ihre weitere Existenz bedroht ist. Eine weitere Belastung der Versicherten ist nicht mehr tragbar. Die Delegiertenversammlung beauftragt die Behörden, mit allem Nachdruck für die Verwirklichung dieser Forderungen einzutreten.“
Unterstützt wurden die Begehren des Kartells von einer eigentlichen Baselbieter Arbeitslosenbewegung. Schon im März 1936 hatte eine „Kantonale Arbeitslosenkommission“ zu einem „Marsch nach Liestal“ aufgerufen. Doch die Demonstration wurde vom Regierungsrat kurzfristig verboten, weil er Ausschreitungen befürchtete. Auf Ende Jahr wurde dann eine neue „Arbeitslosendemonstration“ organisiert. Diesmal durfte sie stattfinden und so zogen am 29.Dezember rund 400 Arbeitslose unter den wachsamen Augen der Polizei nach und durch Liestal und hielten in der Allee ihre Protestversammlung ab.
Behörden und Stimmbürger blieben von den Forderungen der Arbeiterbewegung nicht unbeeindruckt: Im Eilzugstempo wurden zusätzliche Arbeitsbeschaffungsprojekte, so zum Beispiel der Bau der Birsfelder Hafenanlagen, vorbereitet und in Angriff genommen und zu deren Finanzierung ein „Krisenopfer“ erhoben.

Das „Rote Basel“ lockt

Während im Baselbiet vor dem Zweiten Weltkrieg noch um jeden sozialen Fortschritt hart gerungen werden musste, galt die Stadt Basel im schweizerischen Vergleich als sozialpolitisches Paradies. Die dortige Arbeiterbewegung hatte früher als andernorts zahlreiche soziale Postulate verwirklichen können. Für viele Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter auf der Landschaft lag es deshalb nahe, den raschen Anschluss an den sozialpolitischen Fortschritt durch eine Wiedervereinigung der beiden Halbkantone zu finden. Die Baselbieter Arbeiterbewegung war denn auch die Hauptkraft der Wiedervereinigungsbewegung die in den wirtschaftlich schwierigen 30er Jahren ihren ersten Höhepunkt erreichte. Der Wiedervereinigung wurde damals zwar in beiden Kantonen zugestimmt, doch verzögerte sich das Verfahren durch den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs und durch den Widerstand der eidgenössischen Behörden. Die Wiedervereinigungsfrage blieb aber auch in der Nachkriegszeit aktuell und erreichte in den 60er Jahren ihren zweiten Höhepunkt. Die Arbeiterbewegung befürwortete die Wiedervereinigung auch in dieser späteren Phase. Die sozialpolitische Dringlichkeit, die sie in den 30er Jahren hatte, wies sie aber nicht mehr auf: Der Kanton Basel-Landschaft hatte inzwischen in allen wesentlichen Bereichen nach- und aufgeholt und präsentierte sich auch den Gewerkschafterinnen und Gewerkschaftern als aufgeschlossener und fortschrittlicher Kanton. Das Blatt konnte sich denn auch zugunsten der Wiedervereinigungsgegner und der Selbständigkeit des Kantons wenden.

Partnerschaft in der Politik...

Die schwere Krise in den 30er Jahren, aber auch die bei Unternehmern wie Arbeiterorganisationen hohen Kosten von Arbeitskämpfen sowie die äussere Bedrohung durch den erstarkenden Faschismus in Deutschland und Italien, liessen auf beiden Seiten die Neigung wachsen, wirtschaftliche und politische Konflikte partnerschaftlich zu lösen. Seit der Einführung des Proporzwahlrechts 1919 hatte sich die Baselbieter Arbeiterbewegung einen stattlichen Anteil an Landratssitzen ergattert. Mit Jakob Mosimann war sie seit 1925 auch im Regierungsrat vertreten. Mit Walter Hilfiker trat 1931 ein zweiter Vertreter der Arbeiterschaft in die Regierung ein. Das Kartell arbeitete mit beiden Regierungsräten und den sozialdemokratischen und kommunistischen Landratsfraktionen zusammen. Das partnerschaftliche Konkordanzsystem, das sich auf eidgenössischer Ebene erst nach dem Krieg etablieren konnte, hatte sich damit im Baselbiet bereits in der Zwischenkriegszeit herausgebildet.

...und in der Wirtschaft

Aber auch in der Wirtschaft zeichnete sich in den 30er Jahren ein neues Konfliktverhalten ab: Als sich 1937 der Schweizerische Metall- und Uhrenarbeiterverband (SMUV) und der Arbeitgeberverband der Maschinen- und Metallindustrie auf ihr „Friedensabkommen“ einigten, das statt Arbeitskämpfen schiedsgerichtliche Konfliktverfahren vorsah, wurde diese Entwicklung auch im Baselbiet positiv aufgenommen und wirksam. Vollständig einspielen konnte sich die Sozialpartnerschaft in der Baselbieter Wirtschaft aber erst nach dem Krieg und nachdem nochmals eine weitere Streikserie die Baselbieter Volkswirtschaft durchgeschüttelt hatte (Schappe in Arlesheim und Schild in Liestal). Die Basis der neuen Umgangsformen zwischen Unternehmern und Arbeiterschaft bildete das Ende der 40er Jahre einsetzende, kontinuierliche Wirtschaftswachstum. Guter Geschäftsgang in den wichtigsten Branchen, zunehmender Wohlstand in breiten Bevölkerungskreisen und eine günstige Finanzlage der öffentlichen Hand erlaubten einen stetigen Ausbau des Sozialstaates. Soziale Postulate waren kaum mehr umstritten und das Gewerkschaftskartell Baselland konnte mit dazu beitragen, die AHV, ein kantonales Feriengesetz, ein neues Ruhetagsgesetz, ein Kinderzulagengesetz und vieles mehr durchzusetzen.

Ausländerfrage

Das grosse Bevölkerungswachstum - Basel-Landschaft war in der Nachkriegszeit der am stärksten wachsende Kanton der Eidgenossenschaft - erforderte einen rasanten Ausbau der Infrastruktur, was die Nachkriegskonjunktur zusätzlich belebte. In den 60er Jahren lief die Wirtschaft derart gut, dass der Bundesrat und in seinem Gefolge auch der Regierungsrat Bremsungsmassnahmen veranlassen mussten. In dieser Zeit belasteten das Gewerkschaftskartell weder Arbeitslosigkeit noch Arbeitskämpfe. Die gewerkschaftliche Arbeit verlief in relativ ruhigen und geordneten Bahnen. Ein zentrales Problem der 60er Jahre aber wurde die „Fremdarbeiterfrage“. Das massive Breitenwachstum der Industrie hatte nur durch den Zuzug zahlreicher ausländischer Arbeitskräfte getragen werden können. Die Kommunikationsprobleme am Arbeitsplatz und die Konkurrenz um knappen Wohnraum belasteten das Verhältnis zwischen schweizerischen und ausländischen Arbeitskräften. Obwohl die ausländischen Arbeiterinnen und Arbeiter zur Wohlstandsmehrung beitrugen und manchem Schweizer oder mancher Schweizerin den beruflichen Aufstieg erlaubten, geriet die Gewerkschaftsbewegung unter Druck: Ihr Programm und ihre Tradition forderten internationale Solidarität und multikulturelle Einigkeit. In den Betrieben aber war eine wachsende Fremdenfeindlichkeit zu spüren. Trotzdem nahm das Gewerkschaftskartell Baselland immer gegen die fremdenfeindlichen Vorstösse der politischen Rechten Stellung und keine dieser Initiativen fand im Baselbiet eine zustimmende Mehrheit. Im Gegenteil: Die Nordwestecke der Schweiz mauserte sich in der Nachkriegszeit zum weltoffensten und europafreundlichsten Teil der Deutschschweiz.
Als das Gewerkschaftskartell Baselland 1959 sein 40- und 1969 sein 50-Jahr-Jubiläum feierte, konnte es mit Genugtuung auf die Zeit seiner Gründung zurückblicken. In harten Auseinandersetzungen hatten die Gewerkschaften die Anerkennung der Unternehmer und der Behörden erkämpft. Kaum jemand zweifelte mehr daran, dass die Gewerkschaften die legitimen Interessenvertreterinnen der Arbeiterschaft waren. Zudem war es den Organisationen der Arbeiterbewegung gelungen, die Arbeiterinnen und Arbeiter materiell besser zu stellen: Der Wohlstand breiter Bevölkerungskreise war gewachsen, und das soziale Netz war enger geknüpft worden.

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